Halles Thalia macht Skandal
«Fußball ist eine Lebenseinstellung» behauptet ein Stück, das Dirk Laucke mit HFC-Fans erarbeitet hat
VON ANDREAS MONTAG,
HALLE/MZ. Man muss es klar sagen: Das, was am Freitagabend im Großen Thalia-Theater Halle unter dem Titel "Ultras" Premiere hatte, ist ästhetisch wie politisch gescheitert. Es hätte in dieser Form nicht auf die Bühne kommen dürfen. Nicht, weil Theater sich der sozialen Wirklichkeit verschließen sollte, im Gegenteil. Nur bedarf jeder Stoff, erst recht, wenn er so brisant ist wie die Gewalt in den Fußballstadien, der gedanklichen und künstlerischen Verarbeitung.
Die hat im vorliegenden Fall, zumindest, soweit es aus dem Saal erkennbar war, nicht stattgefunden. Oder sich gegen den ungezügelten Selbstdarstellungsdrang der Akteure aus der Fankurve nicht durchsetzen können. Kann man sich aber als Regisseur nicht gegen Stück und Darsteller behaupten, muss man das Projekt absagen.
Und die künstlerisch Verantwortlichen, voran die Intendantin Annegret Hahn, müssen sich die Frage stellen lassen, ob sie nicht gesehen haben, wozu ihre Bühne und öffentliche Mittel, darunter von der Kulturstiftung des Bundes, missbraucht werden. Aber egal, wie die Antwort ausfallen sollte: Nichts bemerkt zu haben ist ebenso schlimm wie das Ergebnis für gut zu befinden. Was aber wollte Dirk Laucke mit den "Ultras" zeigen, was gibt es tatsächlich zu sehen und zu hören? Der Plan war, ähnlich wie bei der gelungenen Arbeit "Silberhöhe gibts nich mehr" ein Stück Wirklichkeit von den Rändern bürgerlicher Wahrnehmung in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses zu rücken. Nach dem Blick in die Lebenswelt der Plattenbausiedlung sollte nun abermals ein spannendes Thema mit "echten" Darstellern auf die Bühne geholt werden. Laucke hat sich dafür einer Gruppe von Anhängern der Ultra-Szene des Halleschen FC versichert.
Platte Selbstdarstellung
Bis dahin ist das Unterfangen untadelig. Was dann aber geschieht, ist erkennbar nicht mehr als die platte, über weite Strecken unerträglich selbstgefällige Selbstdarstellung junger Leute, die ihren Verein als ihr zentrales Glücks-wie Schmerzereignis begreifen. Der Fußball ist alles, der Rest ordnet sich ein. Ein Phänomen, das Aufmerksamkeit, auch Respekt verdient, soweit es noch Schnittmengen mit Normen gibt. Aber gerade die sind es offenbar, zumindest legt es das Gesehene nahe, die für Ultras zur Disposition stehen.
Nun könnte jemand sagen, das sei doch immer noch hochinteressant: Endlich mal ein Blick in die Seele der eisenharten Fans. Immerhin zeigen sie doch, dass neben reichlich Alkohol auch grenzenlose Liebe im Spiel ist, wenn es zu Hause im Wabbel-Stadion oder auswärts darum geht, die eigenen Helden anzutreiben. Auch erfährt man etwas über das berufliche und persönliche Hinterland dieser Klientel. Soweit, so gut. Nur hat die Präsentation ganz überwiegend nicht nur den Gestus, hier kämen ewig Unverstandene endlich einmal zu Wort - es gibt nahezu keine Widerworte. Die Inszenierung will ihre Legitimation aus weitgehend unreflektierten, zum Teil höchst skandalösen Aussagen gewinnen. Vielleicht, weil Laucke sich seinen Akteuren und der Selbstbegeisterung, etwas Ungeheurliches, noch nie Gewagtes zu wagen, kampflos ergeben hat. Da tröstet auch der Gedanke nicht, das alles noch viel schlimmer hätte kommen können.
Ausführliche, teils genüssliche, teils selbstmitleidige Schilderungen, wie man (zum Beispiel bei den Spielen in Frankfurt und zu Hause gegen Hannover) gewaltsam zu Werke gegangen ist, dominieren - und wie die bösen "Bullen" dann hingelangt haben. Immer gibt es eine klare Trennung in Gute und Böse in diesem Stück: Die Ultras und ihre Mannschaft sind gut, böse sind alle anderen. Die Polizei ist in dieser Lesart stets geil aufs Prügeln, zudem gemein und himmelschreiend dumm. Und was ist eigentlich schon dabei, mal ein paar Sitzschalen abzureißen und in den gegnerischen Block zu werfen?
Einen Journalisten gibt es, der zumindest ein paar kritische Worte sagen darf, aber zugleich als Karikatur eines korrumpierten, obendrein stets biertrinkenden Systemgewinnlers dargestellt wird. Nur folgerichtig, dass man den schließlich gewaltsam in die Ecke drängt und ihm das Mikrofon wegnimmt. Man kann auch sagen: ihn mundtot macht. Und der Vereinsmanager? Der bedroht die armen Ultras mit Stadionverbot und ist ein ganz Fieser. Wie gesagt: Wer gut ist, wer böse - es steht von vornherein fest.
Zum finalen Skandal kommt es aber, wenn die Ultras von der Bühne verkünden dürfen, der Hass-Ruf "Juden Jena" sei nicht schlimm, nicht politisch und auch nicht antisemitisch. Denn erstens sei man schon zu DDR-Zeiten damit unterwegs gewesen, ohne dass es jemanden gestört hätte. Außerdem stünde ja auch "Zigeunerschnitzel" unbeanstandet auf Speisekarten. Das Stück, die Regie findet kein Wort dagegen. Triumphgelächter auf der Bühne, im Saal wird mitgelacht. Da bleibt einem die Luft weg.
Stillhalten verlangt Erklärung
Zwei Dinge müssen noch gesagt werden: Erstens: Es wäre interessant zu erfahren, wie Frau Hahn ihr Stillhalten angesichts dieser Schluss-Szene erklärt. Immerhin wurde in diesem Jahr erst der Zentralrat der Juden mobilisiert, weil sie glaubte, einen leitenden Theatermitarbeiter als Antisemiten entlarvt zu haben. Der Vorwurf erwies sich im Übrigen als nicht haltbar. Zweitens soll an das plakatierte Motto der "Ultras"-Inszenierung erinnert werden: "Die Bühne gehört uns". Die Antwort heißt: Nein.
Nächste Vorstellung: Mittwoch, 20 Uhr, Großes Thalia.
Gut kommt das Stück wahrlich nicht weg ...